Gelehrt & Befragt ist eine Interviewreihe des Weiterbildungsstudiengangs Real Estate Management der Technichschen Universität Berlin. Die Lehrenden stehen Rede und Antwort zu Fragen rund um REM, zu aktuellen Entwicklungen in der Immobilienbranche und zu ihrem Werdegang.
Alice Hollenstein hält einen M Sc in Psychologie der Universität Zürich mit den Nebenfächern Ökonomie sowie Umwelt–wissenschaften. Während und nach dem Studium arbeitete Sie bei verschiedenen Marktforschungsunternehmen und in der Konsumgüterindustrie. Seit 2007 ist sie am Center for Urban & Real Estate Management der Universität Zürich tätig. Dadurch konnte sie sich vertiefte Kenntnisse der Schweizer Immobilienwirtschaft aneignen. Alice Hollenstein leitet den Urban Psychology Kurs der Universität Zürich, ist Projektleiterin des Forums Raumwissenschaften und Dozentin für „Urban Psychology“ sowie „wissenschaftliches Arbeiten“ im MAS Real Estate der Universität Zürich. 2014 hat sie die Organisation „Urban Psychology Consulting & Research“ gegründet.
Hallo Frau Hollenstein,
erst einmal begrüße ich Sie im Team der Dozierenden und Lehrenden bei REM an der TU Berlin. Sie haben gerade die ersten Lehreinheiten in Urban Psychology gehabt, welchen Eindruck hatten Sie, wie die Studierenden die Einführung in die psychologische Erfahr- und Lesbarkeit der gebauten Umwelt fanden?
Ich hatte den Eindruck, dass sie am Anfang etwas kritisch aber auch neugierig waren – zwei gute Voraussetzungen, um etwas Neues zu lernen. Mein Anliegen war, dass die Studierenden Immobilienprojekte kompetenter aus der Nutzerperspektive betrachten können. Ich denke, das ist anhand der Mischung aus kurzen Übungen und Theorie gelungen.
Sie lehren eigentlich in der Schweiz am CUREM – eine Nachbargröße in der Schweiz für die berufsbegleitende Ausbildung im Real Estate – und haben dort schon vor einigen Jahren als Vorreiter die Psychologie, insbesondere die urbane Psychologie in Ihr Curriculum aufgenommen und bieten gleichzeitig den einzigartigen Kompaktkurs „Urban Psychology“ an. Wie kamen Sie und Ihre Kollegen darauf die Immobilienwirtschaftslehre mit diesem Thema zu ergänzen?
Die Initialzündung ist dem innovativen Geist von Andreas Loepfe (Managing Director des CUREM) zu verdanken. Er legt Wert darauf, dass die Mitarbeitenden nebst den operativen Tätigkeiten ihr eigenes Expertengebiet aufbauen und hat mich kurz nach meiner Anstellung gebeten, ich solle doch mal einen Anlass zur Frage organisieren, „was denn die Psychologen zu einer tollen Stadt beitragen können“. Daraus ist der öffentliche CUREMhorizonte-Anlass „Mehr Romantik, bitte!“ und später der Urban Psychology Kurs entstanden.
Neben dem klassischen Kernfächern/-disziplinen der Projektentwicklung sind im Curriculum des interdisziplinären REM-Studiengangs weitere Fächer wie die Ökologie/Nachhaltigkeit und die Stadtsoziologie vorhanden. Nun fügen wir die (urbane) Psychologie dazu, verglichen mit den Erfahrungen aus der Schweiz am CUREM, welche Synergien/positiven Effekte sehen Sie mit der Erweiterung der Lehre durch Ihr Fach? Was sind die Abgrenzungen zu den anderen erwähnten Fächern?
Die Psychologie ist eine empirische Wissenschaft. Sie beschreibt und erklärt mittels modernen Beobachtungs- und Befragungsmethoden das Erleben und Verhalten des Menschen. Für mich ist sie eine optimale Ergänzung zur Ökonomie, da sie Erklärungen für ökonomische Phänomene bietet. Beispielsweise zeigen ökonomische Studien einen positiven Effekt von Gründerzeitbauten auf den Bodenwert. Hier schliesst die psychologische Forschung an, indem sie untersucht, was die Leute an diesen Bauten besonders mögen und ob sie auch geschätzt würden, wenn man sie heute wieder neu bauen würde. Im Unterschied zur Soziologie beschäftigt sich die Psychologie stärker mit dem Individuum statt mit gesellschaftlichen Phänomenen. Wobei die beiden Wissenschaften Überschneidungen vorweisen.
Die Psychologie ist eine systemorientierte Wissenschaft und beschreibt systematisch das Erleben und Verhalten der Menschen/Nutzer. Was sehen Sie als Vorteil dieser systemischen Herangehensweise?
Gerade „softe“ Begriffe wie Ortsidentität, Lebendigkeit, etc., die sehr wichtig sind für gelungene Orte, erfordern eine saubere Definition und Messbarkeit – im Sinne von „if you can‘t measure it, you can‘t manage it“.
90 Prozent unserer Lebenszeit verbringen wir in Gebäuden. Was sollten Gebäude für Eigenschaften bieten damit diese intensive „Prägung“ positiv für das Wohlbefinden der Nutzer ist?
Das ist eine grosse Frage. Ich versuche kurz zu antworten: Nutzer fühlen sich wohl, wenn ein Gebäude ihre Bedürfnisse berücksichtigt. Ich teile diese gerne ein in physiologische und psychologische Bedürfnisse. Die physiologischen werden meist durch Normen geregelt (angenehme Belüftung, Tageslicht, etc.). Die psychologischen Bedürfnisse hingegen sind etwas diffuser und werden öfters vernachlässigt. Dazu zählt z.B. dass wir uns in einem Gebäude gut orientieren können, dass es unsere Sinne angenehm stimuliert oder dass die Nutzer steuern können, wann sie alleine bzw. in Gesellschaft sein möchten.
In der Projektentwicklung gibt es häufig Zielkonflikte und unterschiedliche Ansprüche der Stakeholder. Kann die urbane Psychologie ein probates Mittel für eine gelingende Argumentation und Aushandlung sein und evtl. Prioritäten verschieben?
Bei Nutzerstudien lege ich immer einen grossen Wert darauf, s.g. Trade-Offs zu untersuchen. D.h. wir erforschen, wie der Nutzer beschränkte Ressourcen (z.B. sein Budget bei einem Woh-nungskauf) einsetzen möchte. Ist es ihm wichtiger, einen eigenen Waschturm oder eine zweite Dusche in der Wohnung zu haben? Die Nutzer bloss nach ihren Wünschen zu fragen, ohne die in der Realität vorhandenen Einschränkungen zu berücksichtigen, macht für mich wenig Sinn.
Kosten-Nutzen-Abwägungen sind fundamentale Strategien bei der Entwicklung von Projekten. Mit welchen (psychologischen) Argumenten kann man vermeintlich kostenveranschlagende Qualitäten im Projekt pushen?
Mit den erwähnten Trade-Off-Studien kann man untersuchen, wie hoch der Nutzwert einzelner Produkteigenschaften ist, diese den Kosten gegenüberstellen und anschliessend in die Eigenschaften mit einem positiven Delta investieren. Oftmals gibt es „kleine“ Investitionen, die einen grossen Effekt haben – z.B. ein schönes Eingangstor bei einem Mehrfamilienhaus.
Unsere gebaute Umwelt wird für Menschen hergestellt. In der Projektkalkulation bei einer Liegenschaftsentwicklung wird in Hinsicht auf eine erzielbare Rendite gerechnet. Wie korrespondieren die Menschenbilder in der Ökonomie und den weiteren Sozialwissenschaften, die sich ausschließlich mit den Menschen befassen? Und wie müsste die erzielbare Rendite mit den für den Menschen geschaffenen Werten in Einklang gebracht werden?
Die Psychologie befasst sich vorderhand mit dem Wohlbefinden der Menschen. Die Ökonomie hat im Kern dasselbe Ziel – sie schafft Einrichtungen und Handlungen zur Befriedigung der Bedürfnisse. Ihr primäres Instrument ist der Markt, wobei in der heutigen Ökonomie bekannt ist, dass der Markt auch versagen und falsche Anreize setzen kann. In diesen Bereichen brauchen wir Regulationen, um die gesellschaftliche Wohlfahrt zu optimieren. Im Grundsatz bin ich eine Freundin der Rendite. Sie schafft Anreize, knappe Ressourcen, wie Boden, effektiv einzusetzen. Die Psychologie hilft, die Ressourcenallokation so zu gestalten, dass für die Nutzer ein optimaler Wert resultiert.
Im September 2016 bieten wir den auf der erfolgreichen Grundlage des am CUREM praktizierten Kompaktkurses „Urban Psychology“ ein Pendant an der TU Berlin an. Welchen Personenkreis würden Sie in Berlin adressiert sehen und welchen inhaltlichen Schwerpunkt markiert der Kurs?
Der Kurs hat zwei Schwerpunkte: im ersten Teil behandeln wir das Erleben und Verhalten des Individuums in der gebauten Umwelt. Es geht um Themen wie Ortsidentität, Schönheitsempfinden, Erholung und Navigation. Der zweite Teil ist dem Zusammenleben gewidmet. Dabei behandeln wir Fragen der Privatheit bzw. Dichte, Nachbarschaft, gesellschaftlicher Werte und deren Wandel oder Kriminalitätsprävention. Das Programm richtet sich an alle, die Immobilien (oder ganze Areale bzw. Städte) besitzen, managen oder gestalten.
Wie sind Sie zur (urbanen) Psychologie und wie an das CUREM gekommen?
Ich habe schon immer sehr gerne Menschen im Alltag beobachtet: wo gehen die Leute durch, wie richten sie ihre Wohnung ein, wohin setzen sie sich in der Bahn, was finden sie schön, etc. Nur wusste ich nicht, mit welchem Beruf ich dieses Interesse verbinden kann. Nach meinem Studium in Psychologie, Ökonomie und Umweltwissenschaften bin ich deshalb erst in das Konsumgütermarketing eingestiegen. Dort hat es mich ein bisschen frustriert, wieviel Marktforschung für Kekse gemacht wird. Ich dachte mir: können Gebäude, Parks und Städte nicht ebenso verführerisch und nutzerorientiert gestaltet werden? So begann mein Interesse für die Immobilienwirtschaft.
Ich danke Ihnen für das Gespräch und wir bei REM freuen uns auf eine intensive Zusammenarbeit erst einmal wieder im September mit dem Kompaktkurs „Urban Psychology“ und danach wieder in der Lehre im kommenden Sommersemester.
Berlin, Juni 2016
Prof. Dr. Rudolf Schäfer ist Studiendekan des berufsbegleitenden Studiengangs Real Estate Management. Als Dozent sowie Koordinator lehrt er im Modul Bau- und Planungsrecht und ist allzeit beliebter Ansprechpartner für die Studierenden. Sein wissenschaftliches Schaffen drehte sich von Anfang an um den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Dieses Credo hat er als Gründungsmitglied von REM auch in dessen Studienplan getragen. In dem kurzen Gespräch erklärt der Urvater von REM, was das Masterstudium Real Estate Management nicht nur interdisziplinär und praxisnah, sondern auch nachhaltig macht.
Das Ausbildungsziel des Studiengangs REM ist der Generalist. Warum ist die Akzentuierung des Generalisten gegenüber dem Spezialisten wichtig?
Unsere Studierenden sind schon mindestens einmal ausgebildet und besitzen bereits ein Spezialfeld. Ihre Spezialisierung ist je nach Studium und Berufserfahrung unterschiedlich stark ausgeprägt. Zum Beispiel ist ein Betriebswirt oder Jurist spezieller ausgebildet als eine Architektin, weil die Architektur selbst zum Generalistischen tendiert.
Bei REM wird aber kein freischwebender Generalist ausgebildet, der von Vielem wenig und am Ende von Allem gar nichts weiß. Das Generalistentum wird auf den Sockel seines bzw. ihres methodischen und fachlichen Wissens aufgesetzt. Am Ende ist der REM-Generalist befähigt, Schnittstellen zu besetzen und zu anderen Professionen zu sprechen und zu vermitteln.
Seit gut 10 Jahren werden bei REM Spezialisten zu Generalisten weitergebildet. Was macht REM zu dieser erfolgreichen und erfolgversprechenden Weiterbildung?
Vor 10 Jahren war das für uns ein richtiges Abenteuer und Experiment. Nehmen wir das Element der integrierten Semesterprojekte. Es gab damals keinen vergleichbaren Ansatz. Heute können wir auf eine positiv zu verstehende Routine zurückgreifen. Diese hat uns nicht erstarren lassen, sondern uns als Studiengang weiterentwickelt. Die Projektarbeit haben wir konsequent konzeptionell weitergetrieben, so dass wir heute eine sehr schöne Sequenz haben.
Im ersten und zweiten Semester werden ex-post und ex-ante Machbarkeitsstudien aus der Praxis durchgeführt, wobei für die ex-ante Machbarkeitsstudien im zweiten Semester auch der REM-Machbarkeitsstudienpreis ausgelobt wird. Im dritten Semester folgt dann eine Risikoanalyse in einzelnen studentischen Teams, denen Rollen wie Banker, Investor, Nutzer usw. zugewiesen werden. Sie durchlaufen die Rollen der beteiligten Stakeholder in der Projektentwicklung.
Das integrierte Projekt ist demnach das zentrale Element des Studiums. Welches Feedback bekommen Sie von den beteiligten Partnern wie DB AG oder BEOS AG?
Die Abnehmer oder Unternehmenspartner unserer Projekte geben zu erkennen, dass sie eine solche Breite der Projektbearbeitung in der eigenen Praxis vielleicht nicht leisten konnten. Das ist keine Kritik, aber die Rahmenbedingungen in der Praxis sind manchmal andere als in einem Studium. Wir haben bei REM beispielgebende Methoden und Bearbeitungsformen entwickelt, die wir weitergeben. Der hohe Bearbeitungsstandard leistet einen echten Beitrag zur Qualifizierung der Praxis.
Nachhaltigkeit ist in aller Munde und aus dem Immobilien- und Projektmanagement nicht mehr wegzudenken. Wie geht REM mit nachhaltigen Aspekten in Lehre und Forschung um?
Die Nachhaltigkeit ist einerseits eine Formel, die man als Seifenblase bezeichnen könnte. Bei REM brechen wir sie andererseits aber auf die fünf Dimensionen herunter: Ökologie, Ökonomie, sozialer Kontext, kultureller Kontext und Governance. Das Thema Governance ist weltweit von immenser Bedeutung und spielt gerade im Bereich der baulich-räumlichen Entwicklung v.a. im Planungsprozess eine große Rolle. Wir setzen da konkret an. Wir strukturieren unsere Machbarkeitsstudien für die Semesterprojekte in dem Maße, sodass die Nachhaltigkeitsdimensionen nicht nur als Lehrformel artikuliert, sondern die einzelnen sektoralen Dimensionen abgearbeitet werden.
Seit März 2014 sind wir Mitglied und kooperierende Hochschule der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB e.V.). Das heißt, unsere Studierenden können dort auch als Berufseinsteiger die Prüfung als Registered Professional ablegen. Möglich ist das nur, weil unsere Studieninhalte nachhaltiges Bauen umfassend einschließen.Damit werden wir auch dem Label "Climate Change Kick", das die TU Berlin trägt, gerecht.
Berlin, April 2014
Herr Hansen, wie sieht Ihr Aufgabengebiet bei REM aus?